Im letzten Beitrag haben wir uns mit Selbstjustiz im Internet auseinandergesetzt. Wobei der Schwerpunkt vor allem auf doxxing und dem Umgang mit Persönlichkeitsrechten lag. Was heisst dies nun aus ethischer Sicht? Es sind dabei zwei Aspekte zu berücksichtigen: Einerseits die Moral der Selbstjustiz, andererseits die Rolle, welche sie bei der Durchsetzung der Moral im Internet einnimmt.
Selbstjustiz ist immer problematisch, ob virtuell oder nicht. Man widersetzt sich dem staatlichen Gewaltmonopol und nimmt das vermeintliche Recht in die eigene Hand. Da man davon ausgeht, dass Täter sonst nicht (genügend) bestraft werden. Sie stellt somit eine Absage an den Rechtsstaat dar. Der Zweck, Gerechtigkeit zu schaffen, heiligt dabei die Mittel, wie doxing, Persönlichkeitsverletzungen, Drohungen. Dies ist sehr gefährlich, da keine grundsätzliche Abwägung zwischen den Rechten des so Angegriffenen und den Ansprüchen der Gesellschaft stattfindet. Dafür braucht es ja gerade den Rechtsstaat.
Die Selbstjustiz im Alltag ist meist geächtet und wird polizeilich geahndet. Die Hemmschwelle ist demnach entsprechend hoch. Wie wir im Beitrag zur Anonymität gelesen haben senkt diese die Schwelle für jegliche Form von Verhalten. Dies führt dazu, dass wer im Internet mit unmoralischem Verhalten konfrontiert wird, einfach etwas machen kann, ohne sich exponieren zu müssen. Durch die starke Vernetzung kann dann schnell ein Schneeballeffekt entstehen, bei dem sich immer mehr Menschen zur Selbstjustiz hinreissen lassen. Hierin unterscheidet sich die Selbstjustiz im Internet von der realen Welt.
Der zweite Aspekt, der bei der Betrachtung der Selbstjustiz im Internet auffällt, ist ihre Rolle bei der Durchsetzung von Moral. Sie weisst Züge einer sozialen Kontrolle auf. Bei den meisten Beispielen im letzten Artikel, liegen Handlungen vor, bei denen ein gesellschaftlicher Konsens über ihre moralische Verwerflichkeit besteht. Die gesellschaftliche Ächtung hat aber in pluralen Gesellschaften viel von ihrer Wirksamkeit eingebüsst. Gegen Verhalten, welches nicht strafbar ist, kann man kaum was machen. Da man Akteure nicht aus einer Gruppe verstossen kann, zu der sie nicht dazu gehören. Internet-Pranger und digitale Selbstjustiz bieten da ein niederschwelligeres Mittel, um entsprechende Täter als Aussenseiter zu brandmarken und verfehmen. Sie dienen dann als Warnung an andere, welche gegen die geltenden Normen verstossen möchten.